Daten weisen einige Eigenschaften auf, die sie interessant dafür machen, mehrfach genutzt zu werden: Daten können genutzt werden, ohne dabei verbraucht zu werden; Daten können praktisch kostenfrei vermehrt werden; und Daten können durch Verknüpfung mit anderen Daten an Wert gewinnen. Trotz dieser Eigenschaften werden Daten im Bildungskontext noch eher selten mehrfach genutzt. Ein Grund dafür ist, dass bei der Mehrfachnutzung von Personendaten oft ein (vermeintlicher) Zielkonflikt zum Datenschutz besteht. Insbesondere die als Unterform der Mehrfachnutzung zu verstehende Sekundärnutzung – also die Nutzung von Personendaten zu anderen Zwecken als zu denjenigen, für die sie ursprünglich erhoben wurden – wirft datenschutzrechtliche Fragen auf.
Um die Möglichkeiten einer datenschutzrechtlich konformen Sekundärnutzung im Bildungssystem zu analysieren, haben wir beim «Center for Information, Technology, Society, and Law» (ITSL) der Universität Zürich den Bericht «Sekundärnutzung von Daten im Bildungsbereich» in Auftrag gegeben. Anhand von drei Anwendungsfällen – basierend auf unserer Expertise aus den Arbeiten rund um die Entwicklung einer Datennutzungspolitik – wurde die Zulässigkeit der Sekundärnutzung ermittelt. Dieser Beitrag fasst einige der Erkenntnisse aus dem Bericht zusammen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Sekundärnutzung von Daten in der Praxis letztlich immer im Einzelfall beurteilt werden muss.
Die drei Anwendungsfälle decken folgende Sekundärnutzungen von bereits erhobenen Personendaten zu anderen Zwecken ab: Die Datennutzung für…
- … die spezifische Analyse von Informationen aus Registern oder Applikationen mit dem Ziel einer verbesserten Bildungsplanung.
- … die Entwicklung oder für den Betrieb einer individualisierbaren Lernapplikation für Schülerinnen und Schüler.
- … Zwecke der Bildungsforschung oder -planung, bei denen Detailanalysen, zum Beispiel eine hohe regionale Auflösung auf Ebene von Kleinquartieren oder eine starke Differenzierung nach Bildungsverläufen, das Risiko beinhalten, dass Individuen re-identifiziert werden könnten.
Datenschutzrechtliche Grundsätze
Da sich der Bericht mit der sekundären Nutzung von Personendaten im Bildungssystem befasst, konzentriert sich die Analyse auf die Datenschutzgrundsätze, die für öffentliche Organe bei der Sekundärnutzung von Daten gelten. In diesem Zusammenhang sind vor allem drei Grundsätze wichtig:
- Grundsatz der Rechtmässigkeit: Jede Bearbeitung von Personendaten durch öffentliche Organe erfordert eine gesetzliche Grundlage. Auch für eine Sekundärnutzung ist somit eine gesetzliche Grundlage notwendig.
- Grundsatz der Zweckbindung: Personendaten dürfen von öffentlichen Organen nur zu dem Zweck bearbeitet werden, zu dem sie erhoben wurden. Werden die Personendaten sekundär genutzt, muss dieser Zweck mit dem ursprünglichen Zweck vereinbar sein.
- Grundsatz der Verhältnismässigkeit: Die Bearbeitung von Personendaten muss in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen. So dürfen nur diejenigen und nur so viele Daten bearbeitet werden, wie zur Zweckerreichung erforderlich sind.
Wann dürfen Daten sekundär genutzt werden
Entsprechend der Definition der Sekundärnutzung von Daten stellt sich in einem ersten Schritt die Frage, ob bei einer geplanten Nutzung der Daten eine Zweckänderung vorliegt (vergleiche Flussdiagramm). Nur wenn dies zutrifft, liegt eine Sekundärnutzung von Daten vor.
Gemäss Bericht stellt die Zweckbindung im Bildungssystem oft kein Hindernis dar, um Daten innerhalb desselben öffentlichen Organs, z.B. innerhalb einer Schule oder einer Verwaltung mehrfach zu nutzen. Denn: Die rechtlichen Grundlagen für die Datenbearbeitung und damit die Zwecke für welche Daten bearbeitet werden dürfen, sind in der Regel weit gefasst – so dass es nicht zu einer Zweckänderung kommt. Trotzdem kann es auch bei der internen Nutzung zu einer sekundären Datennutzung kommen, wenn die gesetzliche Grundlage der primären Datenbearbeitung einen eng gefassten Datenbearbeitungszweck vorsieht.
Kommt es bei der Datennutzung innerhalb des öffentlichen Organs doch zu einer Zweckänderung (rechter Strang im Flussdiagramm), so ist folgendes zu prüfen:
- Besteht eine gesetzliche Grundlage für die Sekundärnutzung?
- Ist die Datenbearbeitung trotz Zweckänderung mit dem ursprünglichen Zweck vereinbar?
- Ist die Nutzung verhältnismässig?
Nur wenn diese drei Anforderungen erfüllt sind, ist eine Sekundärnutzung zulässig.
Sekundärnutzung durch Dritte
Komplexer wird es, wenn die Sekundärnutzung durch ein anderes öffentliches Organ oder durch einen privaten Dritten stattfinden soll – und zwar ausserhalb einer Auftragsbearbeitung. Dann ist in einem ersten Schritt die Bekanntgabe von Personendaten an Dritte (vgl. linker Strang im Flussdiagramm) zu prüfen. Diese ist nur dann zulässig, wenn
- eine explizite gesetzliche Grundlage für die Bekanntgabe besteht und die Bekanntgabe verhältnismässig ist oder
- die Einwilligung der betroffenen Personen für die Bekanntgabe besteht.
Erfolgt die Bekanntgabe an private Dritte, so gilt: Ist die Bekanntgabe der Daten zulässig, dann ist auch die Sekundärnutzung der Daten zulässig. Denn für Private ist keine Rechtsgrundlage für die Datenbearbeitung erforderlich. Selbstverständlich müssen aber auch Private die für sie geltenden Datenschutzgrundsätze einhalten.
Werden die Daten hingegen einem öffentlichen Organ bekanntgegeben, sind für eine zulässige Sekundärnutzung die oben erwähnten Grundsätze der Rechtmässigkeit, der Zweckkompatibilität und der Verhältnismässigkeit zu prüfen und einzuhalten. Ansonsten bleibt eine Sekundärnutzung unzulässig.
Weitere Arten der Mehrfachnutzung
Nebst der im Flussdiagramm gezeigten Sekundärnutzung werden im Bericht zwei weitere Möglichkeiten der Datennutzung diskutiert: die Bearbeitung und Bekanntgabe von Personendaten für nicht personenbezogene Zwecke und die Anonymisierung. Bei der damit verbundenen Datennutzung handelt es sich um eine Mehrfachnutzung (nicht Sekundärnutzung). Denn: Die nicht personenbezogene Bearbeitung stellt eine Ausnahme vom Grundsatz der Zweckbindung dar. Bei anonymisierten Daten entfällt hingegen die Zweckbindung, da es keine Personendaten mehr sind. Die Datenbearbeitung zu nicht personenbezogenen Zwecken und die Anonymisierung sind insbesondere bei einer Bekanntgabe an private Dritte relevant, welche die Daten zu eigenen Zwecken bearbeiten möchten.
Fazit: Mehrfachnutzung von Daten möglich
Auch ohne die Situation einer Sekundärnutzung können Daten heute im Bildungssystem mehrfach verwendet werden. Dies aufgrund der oft breit gefassten rechtlichen Grundlagen für die Datenbearbeitung im Bildungssystem. So kann zum Beispiel eine Schule, die Daten zu einem bestimmten Zweck erhoben hat, diese auch für andere schulische Zwecke verwenden, sofern die Nutzung im Einklang mit dem Bildungsauftrag gemäss kantonalem Gesetz steht. Vermutlich dürfte diese Art der Datennutzung den Grossteil der Datennutzungen im Bildungssystem abdecken.
Erst wenn es zu einer Zweckänderung kommt, liegt potenziell eine Sekundärnutzung vor, in der Schulen, Verwaltungen und andere Bildungsakteure entlang von datenschutzrechtlichen Grundsätzen (vgl. Flussdiagramm) entscheiden müssen, ob eine Sekundärnutzung zulässig ist oder nicht. Der Bericht macht deutlich, dass die Sekundärnutzung wohl vor allem im Zusammenhang mit der Bekanntgabe an Dritte im Bildungssystem eine Rolle spielen dürfte.
Zudem bieten die Bearbeitung zu nicht personenbezogenen Zwecken sowie die Anonymisierung Möglichkeiten, Personendaten Dritten unter gewissen Umständen zur Mehrfachnutzung zur Verfügung zu stellen (siehe dazu auch unser Gastbeitrag «Wissen aus zuvor unzugänglichen Daten gewinnen»). Dies ist jedoch nur zielführend, wenn die Datenanalyse nicht auf individualisierte, sondern auf aggregierte Ergebnisse abzielt.
Die Zusammenfassung und Interpretation des referenzierten Berichts widerspiegelt die Lesart von Educa. Sie entspricht nicht zwingend derjenigen der Studienautorinnen und -autoren. Die Resultate des Berichts geben die Auffassung des ITSL wieder. Diese stimmt nicht notwendigerweise mit derjenigen des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) und der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren (EDK) überein.